Sonntag, 31. Juli 2011

Verhaltensmuster aus der Kindheit

Wenn ich mich bedrängt fühle, namentlich von Frauen, reagiere ich mit harscher Abwehr. Was ich definitiv nicht ausstehen kann sind Ultimaten im Sinne etwa von: bis dann und dann möchte ich dies oder das von dir, oder: bis dann hast du dich entschieden. Dann schalte ich auf stur, ja breche unter Umständen den Kontakt zu der mich bedrängenden Person ab. Ich bin darauf gekommen, dass dies etwas mit der zumindest streckenweise unbewältigten Beziehung zu meiner Mutter zu tun haben muss. Vermeintlich längst vergessene (und in der Tat bloss verdrängte) Erlebnisse aus der frühen Kindheit bzw. Jugend scheinen mich zu belasten bzw. lösen gewisse Verhaltensmuster in mir aus. Ich brauchte verdammt lang, um dies zu durchschauen.

Samstag, 30. Juli 2011

Erkenntnisse auf dem Balkon

Heute Abend habe ich etwas zu tief ins Glas geschaut. Betrunken bin ich nicht, aber leicht beschwipst. Die Mutter meiner Tochter und ich haben den Abend auf dem Balkon verbracht, mit Blick auf die ruhige und doch so lebendige Quartierstrasse. Auf dem Tisch: Pizza und Salat, dazu einen Sizilianer. Gespräche über Sentimentalität. Wir einigen uns darauf, dass Sentimentalität dann vorherrscht, wenn Gefühle zur objektiven, d.h. zur gültigen und unumstösslichen Wahrheit erklärt werden. Und wir kommen zum Schluss, dass im individuellen Befolgen von Moral auch viel Unmoralisches vorhanden sein kann.

Und immer wieder schallendes Gelächter.

Nun bin ich wieder zu Hause, die Tochter schläft heute bei der Mama, weil es dort einen lustigen DVD-Film zu sehen gibt. Nun gut, ich muss noch arbeiten und bügeln und lesen. Stimmung: ausgelassen, umrahmt von einer tragenden Sehnsucht. Zum Bügeln brauche ich Musik, die mich antreibt. Ich glaube, fündig geworden zu sein.

Ehe und Alltag

Heute morgen nach dem Frühstück und vor der Dusche aufgeschnappt:

(...) da lebt ihr wieder im Alltag, der nämlich die Wahrheit ist, mit Pyjama und Zahnbürste im schaumigen Mund vor dem anderen, mit musealer Nacktheit im Bad (...). Ihr kennt eure Körper, wie man seine Möbel kennt, und da geht ihr zu Bett (...). Da hat die Ehe euch wieder, und ihr gebt euch einen Kuss, der wie ein Punkt ist (...). Ihr sehnt euch nicht nach einander, denn ihr seid ja da, ihr sehnt euch über einander hinaus, aber gemeinsam. Ihr sprecht von einer Reise im Herbst, einer gemeinsamen, ihr sehnt euch plötzlich nach einem Land, das es übrigens gibt, ihr braucht nur hinzufahren im Herbst. Niemand wird euch hindern daran, ihr braucht keine Strickleiter, um euch zu küssen, und kein Versteck, und da ist keine Nachtigall und keine Lerche, die zum Jetzt und Aufbruch mahnt (...). Vergangenheit ist kein Geheimnis mehr, die Gegenwart ist dünn, weil sie abgetragen wird von Tag zu Tag, und die Zukunft heisst altern...

Max Frisch, mein Name sei Gantenbein, Werkausgabe, Surhkamp 1976, S. 136/37.
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Dieser Text vermag in mir grosses Unbehagen auszulösen. Er stellt, wenn auch überspitzt, ein Leben dar, das jeglichen Glauben an das Lebendige und an das Gestaltbare verloren hat. Die Bilder, die transportiert werden, sind beklemmend. Ein Paar hat sich arrangiert und spult das Leben nur noch ab, gewissermassen nach einem Drehbuch, an das sich beide halten. Selbst der gemeinsame Urlaub ist längst entzaubert und bloss die Fortsetzung des gemeinsamen Alltags mit anderen Mitteln. Jeder spielt jene Rolle, die von ihm stillschweigend erwartet wird. Ein Kuss, der wie ein Punkt ist: so küssen sich alte Kumpels, aber nicht Liebende. Doch man bleibt trotzdem zusammen, weil man weiss, was man hat: Kontinuität im leblosen Zustand (museale Nacktheit) als Alternative zum Lebendigen und damit auch zum Wagnis.

Das Leben wird nur noch verwaltet. Eigentlich wird hier, und ich meine dies nicht zynisch, das Warten im Altersheim geschildert: ein blosses Warten auf den sicheren Tod (und die Zukunft heisst altern).

Ruxandra Donose


Ruxandra Donose.

Ich liebe ihre warme Stimme und ihre Ausdruckskraft.
Ich kann mich nicht satt hören, da Balsam für meine Ohren. Heute Abend wird sie mich sanft in den Schlaf wiegen.

Zu später Stunde

Mitternacht. Die Stadt schläft bereits, jedenfalls höre ich weit und breit nichts, nur von Ferne die vorbeifahrenden (Güter)züge. Die Luft angenehm frisch. Kein Lichtermeer ist zu sehen, gut so, wir sind hier nicht in New York. Es kommt vor, dass ich in solchen Momenten der Ruhe spätabends gerne bei einem Gläschen Kirsch über die vergangenen Tage bzw. Wochen nachdenke: was war gut, was war weniger gut? Gab es Situationen, die ich als mühsam bzw. als schön empfand, und warum? Was hätte ich besser tun können, wo habe ich versagt? Nicht immer habe ich Antworten auf meine Fragen. Oft zögere ich mit Bewertungen. Ich kann in meinen Gedanken bei Details verharren oder mich in Tagträumereien verlieren. Eine Marotte von mir ist, gewisse Erlebnisse immer wieder Revue passieren zu lassen, zum Beispiel einen schönen Nachmittag in Zweisamkeit. So sehe ich mich etwa auf der Sitzbank warten auf dem grossen Platz im Zentrum der Stadt, Samstag, 1230 Uhr, so lautete unsere Abmachung. In solchen Momenten des Innehaltens verspüre ich nicht selten eine melancholische Stimmung, die Wehmut aufkommen lässt. Auch der feine Kirsch vermag in dieser Situation (gottlob) keinen Trost zu spenden.

Freitag, 29. Juli 2011

Die blaue Truhe im Keller

Heute Morgen war ich in meinem Keller und bin, wie zufällig, über eine kleine blaue Truhe gestolpert. In dieser hatte ich beim Tod meines Vaters allerlei Material, das ich in seinem Zimmer im Altersheim vorfand, verstaut, ohne damals genauer hinzugucken. Ich war in jenen trüben Novembertagen zu sehr mit der bevorstehenden Beerdigung und den damit einhergehenden Verpflichtungen beschäftigt, so dass alles Material -Briefe, Fotos, allerlei Kleingedrucktes, Hefte, Zeitungen, Flugtickets der Swissair, Versicherungsurkunden etc.- in die Truhe warf.

Heute Morgen habe ich sie mit Ehrfurcht geöffnet. Langsam sichte ich das Material, sortiere es und beginne die diversen Briefe, Tagebucheinträge etc. aufmerksam zu lesen und die alten Fotos zu bestaunen. Das Material ist in erstaunlich guter Qualität, die Briefe bzw. Fotos kaum vergilbt. Wie eine Faust schlägt mir die Vergangenheit mit voller Wucht entgegen. Mit staunenden Augen gehe ich einen kleinen Teil des Lebens meines Vaters durch und nehme von seinen diversen Lebensstationen Kenntnis: mein Vater als Artillerieangehöriger im Militärdienst an der Grenze (1943-45), mein Vater mit mir nicht bekannten Leuten in der Kronenhalle in Zürich am Feiern (die alte Speisekarte einschl. der Rechnung liegen bei), mein Vater als kleines Kind, als junger Liebhaber oder Ehemann, mein Vater in der Badehose am Meer, mein Vater als Kaufmann, mein Vater in seinem schnellen Auto. Dann: alte Briefe, geschrieben von seinen Söhnen aus erster Ehe, lieber Papa, wir haben dich gern oder: danke für das schöne Geschenk, wann sehen wir uns wieder? Ich gehe das Material immer wieder durch, dabei denke ich mir Geschichten aus, wie es denn hätte sein können, damals im Militärdienst, damals im Zürich der frühen 50er Jahre, damals am Meer, damals in der Stadtwohnung in Zürich. Mein Vater muss bereits als junger Mann gut verdient haben, das verraten seine Kleider auf den Bildern, die diversen Rechnungen von Restaurants, Hotels und dergleichen mehr, die Aufnahmen aus der damaligen (ersten?) Wohnung, da ist wenig Kleinbürgerliches zu spüren. Mein Vater hatte seine Ausgaben, zumindest eine Zeit lang, minutiös protokolliert, selbst Ausgaben für Briefmarken und Gespräche aus der Telefonzelle wurden vermerkt: Ausdruck von Pedanterie oder von zwinglianischer Tugend. Ich kann mich von diesem historischen Material kaum lösen, gierig gehe ich es als Sohn (also emotional) und als Historiker (mit dem Versuch, Distanz und damit Objektivität einzunehmen) immer wieder durch, lese die alten Zeitungsausschnitte, nehme von dieser oder jener Notiz Kenntnis. Und ich ertappe mich dabei, wie ich mir immer wieder Geschichten ausmale, wie es denn hätte sein können. Alltagsgeschichte (nahe stehender Menschen) als Ausgangspunkt für allerlei Phantasien und Projektionsflächen.

Später stösst meine Tochter dazu und bestaunt mit grossen Augen das vorhandene Material. Ja, sage ich ihr, so war es damals, glaube ich.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Das Kopfkissen teilen

Was ich mir jetzt kurz vor dem Einschlafen wünschte:
das Kopfkissen mit dir zu teilen.
Deinen Kopf auf meiner Brust zu spüren,
Deinen Atem wahrzunehmen,
Dich sanft zu streicheln.
Dir flüsternd eine Geschichte zu erzählen.
Die Ruhe in uns und um uns zu geniessen.
Das beredte Schweigen zu geniessen.
Einfach zu sein.

Das Glück ist eine leichte Dirne




Das Glück ist eine leichte Dirne,

Und weilt nicht gern am selben Ort;

Sie streicht das Haar dir von der Stirne

Und küßt dich rasch und flattert fort.


Frau Unglück hat im Gegenteile

Dich liebefest ans Herz gedrückt;

Sie sagt, sie habe keine Eile,

Setzt sich zu dir ans Bett und strickt.


Heinreich Heine

Manfred H, Karl-Liebknecht-Strasse, Berlin

Ich stelle mir vor:

Er kann nicht schlafen, einmal mehr. Die Uhr zeigt 0350 Uhr. Je mehr er versucht, gegen die Schlaflosigkeit anzurennen, umso mehr wird sie ihn necken. Er wälzt sich hin und her. Was tun? Aufstehen und Tee trinken? Er bleibt liegen und denkt sich eine Geschichte aus, hütet sich aber davor, immer wieder denselben Traum durchzugehen, oder nochmals die Gassen und Strassen in Erinnerung zu rufen, die er kürzlich gegangen ist: nein, er will jetzt nicht an den See denken, an den grünen Park, nichts dergleichen (weil er sich vor nächtlichen Tränen fürchtet). Stattdessen fällt ihm Manfred ein:

Manfred H. war ein Jugendfreud von ihm. Damals, als er Student war, war Manfred rund doppelt so alt wie er. Überzeugter Kommunist, wohnhaft in Berlin-Ost, Karl-Liebknecht-Strasse, vom Wohnzimmer aus mit direktem Blick auf den Alexanderplatz. Manfred arbeitete bei den städtischen Behörden und war, zumindest offiziell, für Städteplanung zuständig. So viel er weiss, war Manfred Mitglied der SED, wahrscheinlich aus Überzeugung. Als er Manfred jeweils besuchte, überliess er ihm seine kleine Wohnung, Manfred hauste in dieser Zeit bei seiner Lebenspartnerin Hannah, Ärztin an der Charité. Punkt 0700 Uhr tauchte Manfred wieder auf und weckte ihn stets mit den Worten: guten Morgen Peter. Ich habe dir das Neue Deutschland mitgebracht, dazu Brötchen und Schinken. Und Marmelade. Wünsche Dir einen guten Tag, bis heute Abend. Und schon war er wieder verschwunden. Tagsüber dann schlenderte er durch Ost-Berlin, nein: durch die Hauptstadt der DDR, Ost-Berlin war ein Schimpfwort für Manfred, er achtete also darauf, in seiner Gegenwart nicht von Ost-Berlin zu sprechen. Abends dann mit Manfred unterwegs, entweder im Palast der Republik oder zur letzten Instanz. Eisbein und Bier. Und Vitaminsalat, er musste über diese Bezeichnung immer schmunzeln. Manfred war ein ernster Mensch, gerne dozierte er über den Sozialismus, über Planwirtschaft und natürlich auch über die Mauer, die für ihn ein notwendiges Übel darstellte. Er hörte ihm gerne zu, widersprach da und dort, was Manfred umso mehr in Fahrt kommen liess. Er versuchte, Manfred mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, schleuderte ihm Marx-Zitate um den Kopf, um ihn in Widersprüche zu verwickeln. Doch Manfred war ein harter Knochen, belesen und stur und nicht empfänglich für sozialdemokratisches Gedankengut. In der Nacht, als dann die Mauer fiel, rief er ihm an: Mensch Manfred, die Mauer ist offen! Ach so, meinte er trocken, ich weiss von nichts. Seine Welt brach an jenem Abend jäh zusammen. Er glaubte an ein besseres Deutschland, auch dann, als es längst offensichtlich war, dass es kein besseres Deutschland war. Im Verlaufe der 90er Jahre verlor er Manfred aus den Augen, er weiss nicht, was aus ihm geworden ist. Wenn er jeweils in Berlin ist, zögert er immer wieder, ihm anzurufen. Lebt Manfred überhaupt noch? Jedenfalls wohnt er nicht mehr an der Karl-Liebknecht-Strasse, das hat er in Erfahrung gebracht. Eigentlich wäre es schön und spannend, mit Manfred all die vergangenen Jahre Reue passieren zu lassen. Bestimmt hätten sie sich einiges zu erzählen, wie es denn damals war.

Mit diesen Bildern im Kopf schläft er ein.
Morgens wacht er auf und denkt über seine wirren Träume dieser Nacht nach.
Schlaflose Nächte sind anstregend. Irgendwie muss man sie überbrücken.
Am besten mit alten verjährten Geschichten.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Innere Leere

Es gibt Momente, da spüre ich nur noch eine innere Leere. So wie jetzt. Ich hatte durchaus einen guten Tag, ich konnte lachen, herumspringen, fröhlich sein, und heute Abend erwartet mich ein einfaches, aber leckeres Essen bei einem kühlen Weissen. Dennoch erfasst mich zeitweise diese sonderbare Leere, gegen die ich mich gar nicht mehr wehre, da dies ein sinnloses Unterfangen wäre. Sie stimmt mich nicht traurig, sondern verursacht in mir vielmehr eine gewisse Teilnahmslosigkeit: ich bin dann einfach nur da, ich existiere, einer Pflanze gleich, ohne Emotionen, Träume oder Hoffnungen. Und damit grundsätzlich auch ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, verletzt zu werden - zumindest für einen Moment.

Kein Schlaf

Eigentlich wollte ich heute Abend nicht zu spät ins Bett. Nun ist es bald halb zwei: halb wach und doch müde. Unschlüssig, was tun. Stille umgibt mich, und dennoch von innerer Unruhe angetrieben. Noch etwas Randy Newman hören, dann ab in die Feder. Möge der Schlaf gnädig mit mir sein und mich bald heimsuchen.

Dienstag, 26. Juli 2011

Der Anschlag in Oslo

Ich denke an das Massaker von Oslo. Und ich denke über den Attentäter nach, der als verrückter Einzeltäter geschildert wird.

Je länger ich darüber nachdenke, umso zorniger werde ich auf jene, die mit ihren kalkulierten Hasstiraden, ihren kruden Verschwörungstheorien und ihrem Fanatismus den Humus für diese Tat gelegt haben. Ich denke dabei in erster Linie an Geert Wilders, dem Rechtsextremisten aus Holland, der in heuchlerischen Dementis jeglichen Zusammenhang zwischen ihm und dem Attentäter abstreitet.

Wo Figuren wie Geert Wilders (welche es überall in Europa gibt) täglich hetzen, sind Figuren wie Breivik nicht weit weg und bereit, irgendwann und irgendwo "zur Tat" zu schreiten. Eine beängstigende Vorstellung.

Fragt sich bloss: wann werden die geistigen Brandstifter gestoppt?

Königin der Nacht

Sie gefällt mir, diese Königin der Nacht - gesehen und gezeichnet von meiner Tochter. Musik ist soooo wichtig, namentlich für Kinder, sie lässt Phantasie aufkommen, Kreativität, und das Wichtigste: Lebensfreude!

Montag, 25. Juli 2011

Mein Vater

Heute zum Beispiel vermisse ich meinen toten Vater. Gerne würde ich jetzt mit ihm eine Flasche Wein trinken, Burgenländer, ja das wär's, und mit ihm über Gott und die Welt diskutieren. Er mochte das Leben, das volle Leben, und er war ein liberaler Mensch, der andere leben liess.

Dieses nie-wieder-sehen-können infolge des Todes betrübt mich zeitweise. So wie heute Abend. Überhaupt bin ich heute Abend melancholisch gestimmt. Meine Tochter schaut sich, Ferien sei Dank, spätabends noch einen Pippi-Film an (ich werde gleich mitgucken: ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt, und natürlich: 2 mal 3 macht 4). Was ich auch vermisse: Die Hand, die mich bloss sanft berühren muss und mich dadurch verzaubert.

Samstag, 23. Juli 2011

Beseelte Gegenwart

Zu den glücklichsten Minuten, die ich kenne, gehört die Minute, wenn ich eine Gesellschaft verlassen habe, wenn ich in meinem Wagen sitze, die Türe zuschlage und das Schlüsselchen stecke, Radio andrehe, meine Zigarette anzünde mit dem Glüher, dann schalte, Fuss auf Gas. Menschen sind eine Anstrengung für mich, auch Männer.

Max Frisch, Homo Faber, Suhrkamp 1977, S. 92

Dieses mir bekannte Lebensgefühl hast du heute durch deine Präsenz für einen Augenblick aufgehoben, ja förmlich ausgehebelt. Ich spürte bloss noch intensive, beseelte Gegenwart. Hand-in-Hand, Dein Kopf an meiner Schulter. Ferner das Ausbleiben jeglicher Erinnerungen, also: Glückseligkeit für einen kleinen Moment, einem Wüstenläufer gleich, der in einer Oase ausruhen und auftanken darf.

Dafür bin ich dankbar, dankbar auch zu erkennen, wie alles auch sein könnte.
Es tut gut und es tut weh.

Kurzbilanz am Samstagabend

Nie werden wir wissen, wie es hätte sein können zwischen uns. Wir können den Tatbeweis nicht erbringen. Nicht immer kann ich mit dieser Tatsache gleich gut umgehen, zeitweise zerreisst es mir beinahe das Herz. Doch lerne ich sukzessive zu akzeptieren und hüte mich dabei umso mehr vor Resignation. Eines weiss ich mit Gewissheit: das Original lässt sich durch keine Kopie ersetzen, nie und nimmer.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Lebensverwaltung

Wer sein Leben verwaltet statt lebt, raubt ihm jegliches Mysterium. Denn Leben will gelebt werden, was Unsicherheiten impliziert, aber namentlich auch Überraschungen und Wendungen. Das Leben verwalten mag beruhigend sein, doch wie lange hält man das aus? 5, 10, 15, 20 Jahre Lebensverwaltung?

Wer bloss verwaltet, gestaltet nicht.
Wer nicht gestaltet, wird letztlich erstarren.
Weil nichts so bleibt, wie es ist.

Das gilt nicht nur für die Politik.

Mittwoch, 20. Juli 2011

An einem Freitagabend

Ich stelle mir vor:

Er ist in diese Geschichte hineingeschlittert. Er wollte es nicht soweit kommen lassen. Nun sitzt er trotzdem da, an diesem gewöhnlichen Freitagabend in einem italienischen Restaurant irgendwo in der Stadt, umgeben von ihr und ihrer Familie. Er sitzt am Rand des Tisches, das konnte er noch gerade beim Eintreten in das Lokal beeinflussen. Neben ihm sitzt ihre Mutter, gegenüber sitzt die eine Schwester von ihr. Weitere Familienmitglieder: zwei Brüder mit Anhang, ein Kind (schätzungsweise 10 jährig auffallend ruhig). Eine fröhliche Runde, die Geschwister löschen gleich beim Apéro ihren Durst über Gebühr, der Weisswein aus der Toscana schmeckt denn auch vorzüglich. Sie sitzt am anderen Ende des Tisches und scheint ebenso fröhlich zu sein. Manchmal zwinkert sie ihm zu, was ihm etwas peinlich ist, weil es zu sehr Vertrautheit impliziert. Doch er ist präsent und nicht schlechter Laune, er beteiligt sich am small talk, auch wenn ihm die Themen langweilen: Fussball interessiert ihn nun mal nicht sonderlich, und Formel-I-Rennen mag er nicht ausstehen. Er hütet sich davor, Politik ins Gespräch zu bringen, da er den Abend -ihren Abend- nicht verderben will. Nach der Vorspeise wird es noch lauter, die ersten Witze fallen, die er nicht besonders lustig findet, weil sie platt daherkommen. Er schwitzt, vermutlich kommt das vom Alkohol. Er gibt sich kaum zu erkennen, die banalen Gespräche sind ihm mittlerweile recht, weil sie an der Oberfläche bleiben, er ist hier schliesslich nicht an einem philosophischen Seminar. Der Vater, bodenständig wie die ganze Familie, ist ein gutmütiger Mensch, 41 Jahre solide Arbeit bei der Post (Briefträger, später im Schalterdienst tätig, dann Disponent), das prägt und lässt hochtrabende Exkurse über Gott und die Welt überflüssig erscheinen.

Bei der Hauptspeise -Teigwaren mit Kalbfleisch- kommt bei ihm wie angeschossen Panik auf, er fragt sich augenblicklich, was er da eigentlich tut. Aus einer an sich trivialen Affäre ist so etwas wie Freundschaft -oder sollte er eher von Kollegialität sprechen?- entstanden, gewiss, aber er weiss und spürt, dass dies nicht mit Liebe gleichzusetzen ist. Er wird, zumindest für einen Abend lang, Teil einer Familie, die er nicht kennt und die er im Grunde der Dinge auch nicht näher kennen lernen möchte (wozu denn auch?). Gegen Mitternacht löst sich die Runde nach dem Konsum starker Espressi gelassen auf, was bei ihm Erleichterung auslöst. In der darauffolgenden Nacht schwitzt er wieder, das Essen (oder liegt es eher am Alkohol?) liegt ihm schwer auf. Neben ihm schläft sie friedlich. Er mustert sie an und weiss nicht, was er dabei denken soll. Ihre nächtlichen Berührungen lösen Ängste in ihm aus, da ist zu viel an Nähe, zu viel an Intimität, er muss unwillkürlich aufstehen und in der Küche Wasser trinken. Wasser, endlich! Danach sucht er das Bett nicht wieder auf, vielmehr geht er wie ein Tier in der Wohnung auf und ab, die Hände in den Taschen seines schwarzen Pyjamas.

Er hat sich das alles anders vorgestellt, damals, als er sie per Zufall kennen lernte. Umso mehr will er diesem Abend keine weitere Bedeutung zukommen lassen. Es war bloss ein nettes Abendessen mit vielen Leuten in einem italienischen Restaurant in der Stadt. Nein, es ging auch nicht darum, dass er der Familie vorgestellt wird, er wüsste nicht, was solches für einen Sinn haben könnte. Er atmet tief durch und ist froh, dass es bald hell wird und der Samstagmorgen anbricht.

Dienstag, 19. Juli 2011

Gantenbein

Notos liest Frischs Gantenbein, was mich dazu bewegt, das schwierige Werk wieder hervorzukramen. Dabei schmunzle oder staune ich auch über meine damaligen Notizen, Hervorhebungen etc. Was ich damals vor rund 25 Jahren unterstrich, würde ich heute nicht unbedingt wieder unterstreichen, wogegen ich gewisse Stellen, die nicht markiert worden sind, heute doppelt unterstreichen würde, so wie zum Beispiel diese (Werkausgabe Suhrkamp, Band V/I, S. 314):

Ich bin bind. Ich weiss es nicht immer, aber manchmal. Dann wieder zweifle ich, ob die Geschichten, die ich mir vorstellen kann, nicht doch mein Leben sind. Ich glaub's nicht. Ich kann nicht glauben, dass das, was ich sehe, schon der Lauf der Welt ist.

Gewisse Bücher, gerade solche, die wir in unserer Jugend gelesen haben, müssen immer wieder neu gelesen werden, weil die Texte mit uns wachsen und damit immer wieder neu interpretiert werden. Bücher sind unsere Lebensbegleiter und die Zeugen unserer (zwangsläufig) wechselnden, in Abhängigkeit unserer Erfahrungen gemachten Perspektiven.

Montag, 18. Juli 2011

Beim Wandern notiert

  • Nähe kann unerträglich werden, sie kann erdrücken und damit Fluchtgedanken auslösen. Wer die Freiheit des anderen nicht respektiert (aus welchen Gründen auch immer), begeht eine Grenzüberschreitung. Liebe zeichnet sich namentlich dadurch aus, dass sie loslassen kann. Wer demgegenüber den anderen zu kontrollieren versucht, liebt nicht, sondern will besitzen - aus Habgier, aus Unreife, aus Angst, aus welchen Gründen auch immer.
  • Nähe bedingt, einer Pendelbewegung gleich, Distanz, sonst droht der Erstickungstod.
  • Lebenskompromisse sind längerfristig nicht lebbar.
  • Zivilcourage ist ein Wort, das leicht auszusprechen ist. Sie auszuleben ist jedoch bedeutend anspruchsvoller.
  • Jeder braucht seine Geheimnisse und seine Freiräume. Wer ihm/ihr diese nicht zubilligen kann oder will, will herrschen, nicht lieben.
  • Sollte ich jemals wieder mit einer Frau unter dem gleichen Dach wohnen (ich kann es mir aktuell überhaupt nicht vorstellen): ich bräuchte zwingend ein eigenes Schlafzimmer.
  • nochmals notiert: bedingungslos lieben tue ich einzig meine Tochter.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Der Berg ruft

Ein paar Tage Bergluft schnuppern.
Die Stille, den Bergsommer und immer wieder auch den kühlen Bergsee geniessen.
Da und dort eine Alpenrose erspähen.
Small talk inbegriffen.
Die Gedanken pendeln lassen und schon jetzt wissend, wo sie auch sein werden.

Die kleine Reisetasche ist gepackt (man braucht nicht viele Kleider mitzunehmen, und zwei Bücher genügen), die Wohnung aufgeräumt.

Eine eigentümliche Leere macht sich breit in mir.
Melancholie, ja, wie angerührt.

Grimm glimm gnimm bimbim




Kurt Schwitters, 1887-1948
Ich mag seine schön-schrägen Bilder, die Raum offen lassen für Phantasien aller Art. Und seine Ursonate mag ich auch. Höt grumsel gimsel gumsel oder ähnlich.
Entweder man mag es - oder man mag es nicht.
Irritiert? Ein zweiter Blick lohnt sich bestimmt!

Alles zu sehen und zu hören im Sprengel-Museum Hannover,
Anna Blume und ich.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Sprachlos

Lebensabschnitt.

Sie möchte von ihm tagsüber etwas hören, mindestens ein Lebenszeichen (sms) dann und wann. Doch er mag nicht regelmässig schreiben, weil es nichts zu schreiben gibt - und wenn doch, beschränkt es sich auf Banalitäten des Alltags (besorgst du oder besorge ich das Abendbrot?). Das macht sie traurig, wofür er Verständnis hat. Er will kein Unmensch sein. Aber er weiss: sie wird ihn nie verstehen können. So wie er sie nie verstehen wird. Seine Themen sind nicht ihre Themen (und umgekehrt). Sie bemühen sich zwar, den anderen zu verstehen, was aus verschiedenen Gründen jedoch zum Scheitern verurteilt ist.

Doch vor allem: wenn sich Seelen nicht berühren, gibt es keine Zukunft,
und die Gegenwart bleibt brüchig.

Eines Tages wird der dünne Boden brechen.

Dienstag, 12. Juli 2011

Kein Held des Abschiednehmens

Ich bin kein Held des Abschiednehmens. Ich spreche nicht vom grossen, mitunter definitiven Abschiednehmen (etwa von einem geliebten Menschen), sondern vom kleinen, temporären Abschiednehmen da und dort im Alltag. Ich möchte oftmals im Moment verharren, um den Augenblick zur Ewigkeit werden zu lassen. Zusehends werde ich süchtig nach der puren Gegenwart, die nichts anderes zulässt, und sei dies in Form eines schier unendlich langen Betrachtens eines tosenden Wasserfalls in den Bergen. Als ob ich dadurch der Vergänglichkeit ein Schnippchen schlagen könnte.

Heute bin ich ohnehin gereizt. Ich fluche beim Ausräumen des Geschirrspülers, weil einzelne Tassen nicht sauber sind. Solches würde mich normalerweise nicht in Rage versetzen, meine Reaktionen überraschen mich. Ich mache das Wetter hierzu verantwortlich (aktuell 32 Grad), das ist nicht mein Ding. Ich schwitze an den Händen, ich schwitze am Nacken, die Kleider kleben förmlich am Körper fest. Jetzt, da meine Tochter für kurze Zeit bei Verwandten in den Ferien ist, habe ich Fluchtgedanken. Ich sehne mich nach der Atmosphäre von angenehm klimatisierten Flughafenhallen und aktuellen Durchsagen am Bahnhof bezüglich irgendwelchen Zugsverspätungen oder Gleisänderungen. Nun bin ich wieder in diesem mir bekannten Gefühl angekommen: ich möchte am liebsten weg sein, und bleib am liebsten hier (Biermann).

Montag, 11. Juli 2011

Den Augenblick wollen

Heute neu aufgeschnappt, zwischen Ballspiel und Schwimmen:

Er will keine Memoiren. Er will den Augenblick (...). Er sieht ihren Fuss auf dem Gaspedal, einen beschädigten Schuh, eine schmale Hand, das Hin und Her der Scheibenwischer. Er vermisst nichts; er ist dankbar für dieses Wochenende, das noch nicht vergangen ist.

Max Frisch, Montauk, Suhrkamp Ausgabe 2011, S. 158 oben.

Phantasien am Montagmorgen

Alltag, der uns in Beschlag nimmt.
Es könnte aber auch anders sein:

Wir beide am Ufer.
Nichts als Stille.
Im Innern aber brodelt es.
Da entdecken wir eine Lichtung im nahe gelegenen Wald.
Wir müssen gar nichts sagen, beide wissen intuitiv,
was wir an diesem schönen Sommertag tun werden,
nein: tun müssen

Da ist keine Erinnerung an gestern,
keine Erinnerung an das bisherige Leben,
kein Rucksack, der schwer wiegt.
Kein déjà-vu.
Keine Schere im Kopf.
Kein klingendes Handy, das den Augenblick zerstört.
Kein Überbau, der bloss lähmt.

Der Puls spielt verrückt, wir schwitzen,
nicht nur der Temperaturen wegen.

Verschmelzung.
Befreiung.
Pure Lust auf das kurze Leben.
Intensität des Moments.
Beredtes Schweigen.
Momente einer kleinen Ewigkeit.

So könnte es sein,
nicht nur an einem Montagmorgen.

Sonntag, 10. Juli 2011

Eine neue Woche

Eigentlich weiss ich schon jetzt genau, was ich nächste Woche tun und lassen werde. Mein Alltag ist gewissermassen vorprogrammiert, Raum für Überraschungen wird es kaum geben. Es gab Zeiten, da wünschte ich mir einen solchen Zustand herbei, weil er wohl zu beruhigen scheint. Jetzt hingegen beunruhigt es mich vielmehr, Teil einer Maschinerie zu sein - einer selbst gewählten, wohlverstanden. Womit ich wieder beim Thema des inneren Gefängnisses wäre.

Natürlich weiss ich: man wählt immer. Und es gibt im Grunde der Dinge keine Ausreden. Vor allem kann man sich nicht hinter sog. Sachzwängen verstecken. Es gibt, objektiv gesehen, nur einen einzigen, valablen Sachzwang: den Tod. Alles andere will gestaltet werden.

Dunkle Wolken

Ich liebe diese Stimmung.

Bald wird es bei uns ein Gewitter geben.

Dunkle Wolken, Ruhe vor dem Sturm.

Zeit, um zu basteln.



Zeit, um mit der Tochter zu Hause zu spielen.
Nachmittags Kino in der Stadt.
Herumhängen.
Musik hören
Musizieren.

Herumblödeln.
Kochen.
Da, die ersten Blitze.
Der Donner folgt, ich zähle die Sekunden zwischen dem Blitz und dem Donner - das Gewitter ist nicht weit weg.

Reinigendes Gewitter, auch für die Seele.
Nichts wäre langweiliger als ewig blauer Himmel.

Die Züpfe

Sonntagmorgen.

Mit Schwung stehe ich auf und bereite das Morgenessen vor.

Die Züpfe garantiert einen guten Start in den Sonntag. Ohne sie kann ich mir einen Sonntagmorgen nur schlecht vorstellen. Mit ihr ist die Welt noch in Ordnung. Züpfe gab es schon zu Gotthelfs Zeiten, und Züpfe wird es auch in hundert Jahren noch geben. Die einzelnen Stücke sind nicht zu dünn zu schneiden, belegt werden sie mit Butter, Konfitüre oder Honig. Einfach unwiderstehlich.

Kleine Rituale erleichtern das Leben, machen es farbiger, berechenbarer, erträglicher.

Samstag, 9. Juli 2011

Sex

Vermutlich wäre das Leben einfacher, hätte man keinen Sexualtrieb. Die Omnipräsenz des Sexuellen im Alltag (Medien, Werbung, auf der Gasse etc.) macht mich gelegentlich müde, manchmal gereizt. Wohlverstanden: ich spreche nicht von Sinnlichkeit, sondern von Sex, was selbstredend nicht dasselbe nicht.

Ohne Sexualtrieb ginge man wohl ungetrübter durchs Leben. Doch ist eine Welt ohne die Existenz von Trieben überhaupt denkbar? Für das Kollektiv bestimmt nicht, wohl aber für einzelne Individuen. Viele kennen zeitlich limitierte Phasen der Asexualität. Als ich solche Phasen durchlief, war ich, glaube ich, nicht traurig. War ich auch glücklicher, produktiver, kreativer? Die Frage muss ich offen lassen.


Nur damit keine Missverständnisse entstehen: ich gehöre definitiv nicht dieser Gruppe an.
Nur manchmal :-)

Übung, im Hier und Jetzt zu sein

Heute ein weiterer Selbstversuch, ganz in der Gegenwart zu sein.

Nachmittags beim Baden ist mir dies recht gut gelungen. Im Wellenbad konnte ich alles um mich herum vergessen, später dann beim Ballspiel mit meiner Tochter ebenso. Plötzlich tauchen sie aber wieder auf, die Gespenster aus der Vergangenheit, einer Verfolgung gleich, selbstverständlich unangemeldet und forsch. Nicht immer müssen die Bilder aber negativ besetzt sein, es können auch gute Erinnerungen wachgerüttelt werden.

Im Freibad, wo ich heute war, war ich dort bereits als kleiner Bub. Urplötzlich sah ich den kleinen Jungen, wie er oben auf dem Sprungbrett steht und einen Kopfsprung wagt. Ich sah ihn herumrennen, mit seinem Vater spielen. Dann holt mich die Gegenwart wieder ein, die Tochter will weiter spielen, wo ich doch gerade gedankenversunken im Bassin stehe und beinahe ins Grübeln gerate.

Gegenwart und Vergangenheit lassen sich natürlich nicht strikt voneinander trennen. Sie sind vielmehr kommunizierende Röhren, denn die Gegenwart ist nichts anderes als entwickelte Vergangenheit. Die Forderung, mental ganz im Hier und Jetzt zu sein, kennt dennoch keine überzeugende Alternative.

Freitag, 8. Juli 2011

Oeil de Perdrix - kühl serviert und getrunken

Heute Abend habe ich Wein getrunken.

Zuviel.

Oeil de Perdrix, ein Roséwein aus dem Wallis.
Kühl serviert, wie es sein muss.
Einfach köstlich.

Dazu ein kleines Filet an einer vorzüglichen Rahmsauce, ganz nach dem Motto: man gönnt sich ja sonst nichts.


Manchmal tut es mir einfach gut, über die Stränge zu schlagen.
Das geschieht selten, und es muss auch nicht oft geschehen.

Und dann vergesse ich für einen Augenblick alles, was mich beschäftigt.
Dann sehe ich alles bunter, optimistischer, leichter.

Welch ein Trugschluss.
Aber manchmal tut es einfach gut, sich selbst zu belügen.

Den Saft dieser wunderbaren Trauben zu geniessen.
Über Gott und die Welt zu fabulieren.

Dann möchte ich mir nur noch das ganze pure Leben einverleiben.
Und nur noch spüren, lieben, vergessen.
Grenzenlos sein - für einen Augenblick lang.
Und vor allem:
die Vergänglichkeit verdrängen.
den Tod verachten.

Ich weiss, dass dies nicht klug ist - und schon gar nicht weise.
Aber ich will und ich kann nicht immer klug und besonnen durch die Welt marschieren.
Ich muss ab und zu Grenzen sprengen, unvernünftig sein.
Und sei es bloss für einen kleinen Moment an einem Freitagabend.

Ankunft und Abschied

Heute ist bei uns der letzte Schultag, die Sommerferien beginnen am Montag. Mitte August gehen dann die Kinder in die nächst höheren Klassen. Wie schnell doch ein Schuljahr vorüber geht...

Ankunft und Abschied und damit Loslassenkönnen, ein Leben lang.

Zwischen diesen beiden Polen leben wir unser Leben und blenden dabei die Gesetzmässigkeit dieses ewigen Fliessens allzu oft aus. Stattdessen wollen wir uns lieber an vermeintliche Felsen (Liebe? Ehe? Partnerschaft? Freundschaft? Status? Geld? Ruhm? Tradition?) festhalten.

Weil es halt beruhigt.

Haydn hat bekanntlich eine Abschiedssymphonie komponiert. Im 4. Satz verlassen die Musikerinnen und Musiker sukzessive das Orchester, am Schluss bleibt nur noch der verdutzte Dirigent übrig und steht verloren vor leeren Rängen.

Ankunft und Abschied - Loslassenkönnen, ein Leben lang.

Die nachfolgende Aufführung des erwähnten 4. Satzes aus Haydns Abschiedssymphonie mit Daniel Barenboim ist an Witz und Ironie nicht zu überbieten. Wenn ich wieder einmal Mühe habe mit dem Loslassenkönnen, so werde ich Haydn auflegen und mitsummen - möglichst heiter und augenzwinkernd.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Stadtschloss Berlin

Wie ich gestern aus den Medien erfahren habe, wird in Berlin das barocke Stadtschloss, das 1950 dem Erdboden gleichgemacht worden war und an dessen Stelle der "Palast der Republik" gebaut wurde, wieder aufgebaut. Lange wurde darüber diskutiert und gestritten, nun soll es also tatsächlich realisiert werden. Woher das Geld kommt, weiss zwar niemand so genau (Berlin ist bekanntlich pleite, und der Bund hat auch nicht volle Kassen vorzuweisen), aber der Wille ist da, etwas "Grosses" zu erstellen.

Seit rund 25 Jahren gehe ich regelmässig nach Berlin. In Berlin-Mitte kann ich mich stundenlang ziellos auf die Beine machen, um mal hier, mal dort zu landen und mich überraschen zu lassen. Im Prenzlauer Berg mag ich die vielen originellen Einrichtungen, die Parkanlagen, die Beizen und die Galerien. Ich mag Berlin, gerade weil die Stadt offene Wunden hat, mit denen sie, so mein Empfinden, zumindest bisher gut umgeht. Berlin ist nicht "nett" wie Paris oder Wien. Berlin ist ein grosses, weites Dorf, das gerne (wieder) Weltstadt sein möchte und uns immer wieder herausfordert - kulturell und in jedem Fall historisch.

Den Beschluss, das Stadtschloss wieder aufzubauen, finde ich eine kolossale Fehlentscheidung. Ich erkenne darin eine Tendenz, die Geschichte zu revidieren und die historischen Geschehnisse schleichend aus dem Stadtbild zu vertilgen. Letztlich läuft es darauf hinaus, so zu tun, als hätte es gewisse historische Phasen nie gegeben, stattdessen wird eine historische Kontinuität vorgegaukelt, die es so nie gab. Vielmehr gab es zahlreiche Brüche nicht nur in historischer, sondern auch in städtebaulicher Hinsicht. Berlin wurde bekanntlich von Katastrophen aller Art heimgesucht. Diese sichtbar zu machen und sichtbar zu lassen (!) ist historisches Gebot der heutigen und zukünftigen Generationen.

Was soll dieser Beschluss? Geht es darum, das, was -wem auch immer- missfällt, aus dem kollektiven Bewusstsein zu verbannen oder museal zu entsorgen?

Ich mag barocke Schlösser sehr - aber bitte nur im Original.

Mittwoch, 6. Juli 2011

Distanziert

Heute beim Mittagessen mit meinen Kollegen: ich trage eine Maske, ich gebe mich nicht wirklich zu erkennen - warum sollte ich denn auch ein offenes Buch sein? Und ich diskutiere auch über Dinge, die mich im Grunde der Dinge langweilen. Aber trotzdem ist es eine fröhliche, ausgelassene Runde.

So ist es: ich brauche Distanz, dies nicht nur beim Essen mit Kollegen.
Distanz allein ermöglicht Nähe und damit auch Vertrauen.

Dienstag, 5. Juli 2011

Unser inneres Gefängnis

Die Gitterstäbe sind von innen rosa angestrichen.
Sie vermitteln vermeintliche materielle und/oder emotionale Sicherheit.

Sie machen autonome Entscheidungen überflüssig.
Sie rauben dem Menschen die Verantwortung für sein eigenes Leben.


Wer sein selbst gebautes Gefängnis kennt und lange darin gelebt hat,
fürchtet sich naheliegenderweise vor der Freiheit.
Modernes Sklaventum kann beruhigen - doch zu welchem Preis?

Nachtrag
Nein, die Gitterstäbe müssen nicht zwingend rosa angestrichen sein. Sie können auch grau sein: man ist sich seines Gefängnisses sehr wohl bewusst. Eine warme Zelle mag attraktiver sein als die als bedrohlich wahrgenommene Welt draussen.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Immanuel Kant

Montag, 4. Juli 2011

Im Juli

Der Monat Juli ist ein sonderbarer Monat, jedenfalls empfinde ich ihn so. Viele haben unglaubliche Erwartungen an diesen Monat, wollen ständig auf Trab sein, wollen die Nacht zum Tag machen, wollen "etwas erleben", wollen möglichst hohe Luft- und Wassertemperaturen haben, wollen rein ins Wasser und nicht mehr raus, wollen Parties feiern und dies möglichst laut (damit alle hören, wie gut sie es doch haben). Ständig sehen sie sich genötigt, Grillabende zu organisieren. Auch Openairs und Seenachtsfeste gehören zum festen Ritual der Sommeranbeter: das ganze Land als einzige Festhütte.

Ich habe nichts gegen Grillabende einzuwenden, im Gegenteil, und Openairs mag ich auch. Aber ich mag diesen permanenten Rummel nicht, dieses Lechzen nach Hitze und Massenveranstaltungen, nach Feuerwerk und Ghettoblaser. Wie wäre es demgegenüber mit etwas mehr Beschaulichkeit, mehr Gelassenheit, ja Nüchternheit? Vermutlich haben meine Fragen auch etwas mit dem Alter zu tun.

Schlaflos

Wahrheit kann man nicht beschreiben
nur erfinden.
Max Frisch

Ich stelle mir vor:

Er liegt hellwach im Bett, es ist Freitagnacht, die Uhr zeigt exakt 0340 Uhr. Er schaut zum Fenster hinaus und sieht die prächtige Bergkette, die bald von den ersten Sonnenstrahlen gestreichelt wird. Er will schlafen, aber es hat keinen Sinn, gegen die Schlaflosigkeit antreten zu wollen, er wäre ohnehin der Verlierer. Er flüchtet aus dem Bett, leise wie ein Dieb, damit sie nicht geweckt wird. Auf dem Balkon dann lässt er seinen Gedanken freien Lauf, die völlig unstrukturiert in seiner Vergangenheit hin und her pendeln. Bald ist er Kind, dann Pubertierender, dann wieder Kind, bald verheiratet, wieder Kind, so geht das hin und her.

Diano Marina, riviera dei fiori
Regelmässig ging er als Kind und junger Erwachsener ans Mittelmeer nach Italien mit seinen Eltern,. Er sieht sich schwimmen, er hört das Stimmengewirr unten am Sandstrand, er sieht sich eine Burg bauen mit anderen Kindern, er sieht auch, dass er voller Hemmungen ist, das fremde Mädchen mit den Zöpfen anzusprechen, aus Angst, eine Absage zu bekommen. Er riecht die Pizzastücke, wie sie morgens um 11 Uhr als Apéro serviert wurden. Er war ganz glücklich in diesen Ferien und beschliesst, wieder einmal nach Diano Marina zu gehen. Er will alles nochmals nochmals durchleben, will das im maurischen Stil erbaute Hotel wiedersehen, in dem er mit seinen Eltern war. Ob er es freilich wirklich tun wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Er will die Bilder seiner Vergangenheit vielleicht doch nicht mit jener der Gegenwart konfrontieren.

0445 Uhr.
Von Schlaf keine Spur. Aus der Ferne hört er eine Amsel, und die ersten sanften Strahlen der Sonne vertreiben nun endgültig die Nacht. Er versucht erneut, seine Gedanken zu strukturieren, aber es gelingt ihm nicht. Er möchte inskünftig nicht mehr von der Vergangenheit heimgesucht werden, er möchte sich nicht mehr unproduktiv mit der Zukunft auseinandersetzen. Er möchte nur die pure Gegenwart spüren und in ihr leben, aber es gelingt ihm nicht so recht. Er ist ein Schwelger und lässt sich von den schönen Momenten der Vergangenheit treiben. Ob er sie verklärt? Das wäre möglich. Vielleicht war es ja gar nicht so toll in Diano Marina, und die Sandburg war wohl niemals so gross, wie er sich das soeben vorgestellt hat.

Seine Vergangenheit ist sein Konstrukt, seine Zukunft ebenso. Was bliebe, ist die Gestaltung der Gegewart.