Dienstag, 29. Mai 2012

Todesanzeige (?)

Meine Tochter hat mich heute beim Schwimmen beiläufig gefragt, ob ich eine Todesanzeige möchte, wenn ich gestorben sei. Die Frage hat mich amüsiert (und blieb unbeantwortet), jetzt beschäftigt sie mich ein wenig. Sollte man nicht rechtzeitig an seinen Tod denken bzw. was (unmittelbar) danach folgt? Bezüglich Testament habe ich ein leichtes Spiel: die Mama der Tochter erbt alles, damit letztere dereinst alles erbt. Doch wie meine Beerdigung dereinst konkret aussehen soll, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Na ja, ein paar Jährchen will ich schon noch leben, und doch: wir sind bekanntlich alle zum Tode verurteilt, nur tun wir so, als ginge uns das alles doch nichts an. Wir können schon morgen tot sein - von der Strassenbahn überfahren, von einem Hirnschlag heimgesucht, wie auch immer.

Wichtig für mich: Feuerbestattung, Musik von Mozart, schlichter Grabstein (grauer Granit ist mir recht) nur mit dem Namen versehen. Keine Blumen. Und ich denke, dass auf die Todesanzeige verzichtet werden kann: wer mich sucht, kann mich immer finden. 

Sonntag, 27. Mai 2012

Genuss: kein leichtes Spiel

Kurz vor der heutigen Wanderung noch dies aufgeschnappt:

Der Zivilisationsprozess ist auch als Ausdruck zunehmender Scheu vor dem Animalischen im Menschen zu verstehen (Norbert Elias). Zwar ist das Thema Sexualität omnipräsent, nur wird diese offenbar immer weniger real ausgelebt, wie unterschiedliche Studien und Umfragen immer wieder zum Ausdruck bringen. So wie jene Tangotänzerin, die jedes Wochenende und darüber hinaus bis zur Erschöpfung auf dem Parkett balzt, um, ganz der Tangotradition verpflichtet, spätabends doch allein nach Hause zu gehen. Die pure Fleischeslust wird zusehends entmaterialisiert, das klinisch Saubere scheint die Lufthoheit über unser Verlangen zu erlangen.


Wenn der Sommer nicht mehr weit ist 
und die Luft nach Erde schmeckt, 
ist´s egal, ob man gescheit ist, 
wichtig ist, dass man bereit ist 
und sein Fleisch nicht mehr versteckt.
Und dann will ich, was ich tun will, endlich tun. 
An Genuss bekommt man nämlich nie zuviel. 
Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn, 
denn Geniessen war noch nie ein leichtes Spiel.
Richtig, Herr Wecker: Geniessen war noch nie ein leichtes Spiel.

Damals im Mai














Und wenn ich, wie heute,
spätabends draussen ruhig sitze,
ein Gläschen Rotwein (Primitivo) trinke
und einfach bin,
denke ich
dann und wann
an jene erste Begegnung.
Damals, im Mai, entlang des Kanals.
Ich halte das Glas Wein in der Hand
und spüre das Verlangen nach dir,
nach schlichter Gegenwart,
ohne Spektakel,
einfach nur sein,
wortlos.
Berührungen, die alles beiseite schieben.
Für einen Moment alles vergessen können.
Den Rucksack ablegen.
Unsere Wege kreuzen sich selten genug.

Samstag, 26. Mai 2012

Freitag, 25. Mai 2012

Nach Mitternacht


Die Luft riecht nach frisch geschnittenem Gras
Stille.
Leichte Brise.
Ich mag nicht schlafen.
Sitze einfach da auf der Terrasse und starre in diese wunderschöne Nacht.
Wolkenloser Himmel.
Du schläfst schon lange, glaube ich.
Dabei wäre es jetzt so schön, gemeinsam vielsagend zu schweigen
und das Kopfkissen ruhen zu lassen.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Trügerische Sicherheiten

Der Hauskauf ist perfekt, der Garten zauberhaft, so dass das Paar gar nicht anders kann, als auch noch ein Kind zu planen, das auf der Schaukel wippen wird. Simon und Isabelle Meister geniessen seit sechs Jahren ihr solides Glück, aber eine kurze Begegnung an einem schwülen 1. Mai kippt alle Sicherheiten um.

So der Beginn des zweiten Romans von Andreas Neeser "Trügerische Sicherheiten". Beim Lesen der hier auszugsweise zitierten Rezension hat es mich sofort gepackt, so dass ich mir morgen das Buch besorgen werde. Ein Buch über die Einsamkeit zu zweit, über Fluchtbewegungen und Neuanfang. Und: "'Der Schnee hat die Farbe null', heisst es in einer der kurzen Tagebuchaufzeichnungen Isabelles. Aber je einmal anzukommen – das ist schwierig". Wer wollte da ernsthaft widersprechen? 

Mittwoch, 23. Mai 2012

I werd oid

Selbsterkenntnisse kurz vor dem Einschlafen.

In der mütterlichen Wohnung

Ich stelle mir vor:

Seine alte Mutter musste notfallmässig ins Spital eingeliefert werden. Wenige Tage später musste er in die mütterliche Wohnung gehen, um einige Dokumente zusammenzusuchen und Kleider für seine Mutter zu holen. Beim Betreten der Wohnung beschleicht ihn ein sonderbares Gefühl der Leere und der Angst. Seit Tagen abgestandene Luft kommt ihm entgegen und lässt ihn husten. Die Wohnung selbst ist völlig abgedunkelt, was ihn deprimiert. Nun steht er mittendrin. Sein Blick wandert durch das behaglich eingerichtete Wohnzimmer. Aufgeräumt sieht es aus, und doch herrscht eine gewisse Unordnung. Die Wohnung ist mit Möbeln überstellt, alte Rechnungen liegen herum, da und dort eine Puppe, viele Bilder. In diesem Augenblick kommt es ihm vor, als stünde die Zeit still. In der Küche liegt eine ungereinigte Pfanne herum, vermutlich hat seine Mutter kurz vor der Spitaleinlieferung noch ein Spiegelei zubereitet. Der Abfallsack sollte unbedingt entsorgt werden. Er geht zurück ins Wohnzimmer, dann ins Bad, später ins Schlafzimmer und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. In der Wohnung nimmt er nach wie vor keinerlei Zeitgefühl wahr, und ihm wird kalt. Oftmals war er hier zu Besuch, und nun ist sie plötzlich unbewohnt, diese Wohnung, die so sehr Sonnenlicht benötigen würde und frische Luft. Und er ahnt bzw. weiss sehr wohl, dass er irgendwann diese Wohnung wird räumen müssen. Er wird dannzumal nicht darum herum kommen, alles durchzugehen, Dokumente zu ordnen, dieses und jenes zu verpacken, anderes zu entsorgen usw. Er mag nicht an diesen Moment denken, vielmehr verspürt er das Bedürfnis, die leere Wohnung rasch wieder zu verlassen in der Hoffnung, dass sie bald wieder von ihrer  langjährigen Mieterin bewohnt wird. 

Dienstag, 22. Mai 2012

Entpaart

Ich habe zusehends Mühe mit dem Begriff "getrennt".  Denn "getrennt sein" muss eben gerade nicht heissen, dass man getrennt ist. Besser wäre von "entpaart" zu sprechen: man ist zwar kein Paar mehr, und dennoch kann man "zusammen sein", dies jedoch unter anderen Konstellationen.
Und was heisst "zusammen sein"? Zusammen in den gleichen vier Wänden zu wohnen heisst noch lange nicht, dass man zusammen ist. Und wer nicht zusammen wohnt, kann dennoch sehr wohl zusammen sein.
Wortspielereien? Nein. Zumindest nicht in erster Linie. 

Sonntag, 20. Mai 2012

Gute-Nacht-Lied

Kurz vor dem Zähneputzen und dem Einschlafen brauche ich jetzt genau dies:

Keine Flügel

Ich stelle mir vor:

Die Wanderung war lang und anstrengend. Sie eilte ihm hinterher, tief atmend und immer wieder eine kleine Pause einschaltend. Oftmals rang sie nach Luft, da sie sich eher ungeübt im Gebirge bewegt. Er ging seinen Rhythmus und wollte diesen auch nicht unterbrechen. Ohnehin hätte er nichts zu sagen gehabt. Die Stille der Berge war Antwort genug. Als er den Gipfel erreichte, packte ihn eine gnadenlose Sehnsucht. Die grandiose Sicht auf den ewigen Schnee liess ihn augenblicklich vor Augen führen, dass gewisse Dinge bzw. Situationen schier unverrückbar sind, gleich den mächtigen Formationen, auf denen er sich befand. Da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. In jenem Augenblick vermisste er Flügel, die ihn weit weg fortgetragen hätten an einem Ort, an dem man nichts zu sagen braucht, weil dort eine kleine Berührung mehr umfassen kann als tausend Worte. 

Donnerstag, 17. Mai 2012

Donna Summer ist tot

Wie oft war ich wohl als junger Mann spätabends und morgens früh unterwegs und tanzte die Nacht durch zum Sound von Donna Summer. Nun ist sie mit 63 gestorben. Ich mochte ihren Sound. Adieu, Donna, wo immer du jetzt sein magst.

Mittwoch, 16. Mai 2012

Von der Wurstbude

Wie wär es denn, einen kleinen Wurststand zu führen? Nicht zu viel denken müssen, keine Berichte mehr verfassen müssen, keine mühsamen Sitzungen erdulden müssen, sich dem Diktat der Zeit etwas entziehen können. Und da und dort ein kleines triviales Schwätzchen halten können, wie geht es denn heute, Herr Müller?

Und doch werde ich keinen Wurststand eröffnen. Weil auch dies kein Garant für Glück wäre. Und natürlich, da sind die sog. Sachzwänge zu beachten, will sagen: die Wohlstandsfalle hat auch mich im Griff. Also werde ich weiterhin molochen und das Lebensgefühl, das mit der kleinen Wurstbude einhergeht, wo auch immer in konkretes Leben umzuwandeln versuchen - gerade dann, wenn es beim Molochen besonders mühsam wird und ich mich im Grunde der Dinge bloss nach einer deftigen Wurst mit viel Senf und dunklem Brot sehne. 

Dienstag, 15. Mai 2012

Die Macht der Gewohnheit

In letzter Zeit schreibe ich weniger, weil ich mich im Kreis bewege, es kommt mir schlicht nichts Neues in den Sinn. Es kommt mir vor, als würde sich, ausser der Zeit, nichts bewegen. Dienstag ist Mittwoch, Kaffeepause heute um 10 ist gleich Kaffeepause morgen um 10. Leben in der Routine. Und die Steuerrechnung/1. Rate wird auch dieses Jahr auf den Tag genau am 21. Juni zu begleichen sein.

Ich freue mich schon jetzt auf das Frühstück: Holzofenbrot, Erdbeermarmelade, Käse (rezent in jedem Fall), Kaffee, Milch: die Macht der Gewohnheit kann auch besänftigen.
Manche finden in ihr das Glück.
Ich manchmal auch.

Donnerstag, 10. Mai 2012

Anstrengend

In den letzten Tagen habe ich mein Tagebuch auf die Seite gelegt. Zum einen, weil ich beruflich nur noch am Rudern bin. Auf der anderen Seite, weil ich mich im Kreis bewege. Es gibt nichts Neues in meinem Leben. Alltag pur. Heute Abend habe ich über den Durst getrunken und ausgiebig getafelt. Umzingelt von selbstverliebten Mimosen, selbsternannten Künstlern und durchaus auch witzigen Figuren habe ich einen entspannten Abend verbracht. Erkenntnisgewinn freilich gleich Null. Der Wein war vorzüglich, das Essen exquisit. Aber sonst, darüber hinaus? Auf dem Heimweg laufe ich durch die Gassen meiner Stadt. Stimmung wie in Rom, alle sitzen an langen Tischen in Shirts. Habe ich in den letzten Jahren etwas verpasst?  Wieder drehe ich mich im Kreis. Der Alltag ist anstrengend, das Leben sowieso. 

Montag, 7. Mai 2012

Die Zeit, einmal mehr

Heute spätnachmittags auf dem Schulhof treffe ich auf eine Lehrerin meiner Tochter. Ach, wie die Zeit vergeht, ruft sie mir spontan zu. Die Kinder wachsen und wachsen - und wir werden immer älter. Stimmt. Auf dem Schulhof erfasst mich oftmals eine sonderbare Melancholie, die mich an die Zeit und damit an die Vergänglichkeit erinnert. Dass dieser Mai nie ende, singt Wecker trotzig. Doch was täten wir ohne Herbststurm? 

Freitag, 4. Mai 2012

Im Rausch

Heute Abend hätte ich womöglich einen Rausch gehabt, wäre da nicht ein längst vereinbartes Treffen angesagt. Freitagabend, die Entspannung stellt sich ein und das schöne Wetter lockt dazu, in einer gemütlichen Gastwirtschaft einen kühlen Weissen zu trinken, und dann noch einen. Und vielleicht auch noch einen dritten. Aber soweit ist es nicht gekommen.

Manchmal ist ein Rausch etwas Schönes: man muss zwangsläufig die Kontrolle abgeben, und die Maske  fällt vom Gesicht. Doch stattdessen ist heute Nüchternheit angesagt. Von Rausch keine Spur. Maskerade! 

Donnerstag, 3. Mai 2012

Routine

Ich stelle mir vor:
Er weiss im Voraus genau, wie sich der Abend abspielen wird. Es wird keine Überraschungen geben, von Zauber keine Spur. Alles läuft so ab wie immer. Routine. Er gähnt schon jetzt und tut trotzdem nichts anderes, als sich der Wiederholung hinzugeben. Weil er müde ist und sich treiben lässt. Bequem ist er geworden, ein bisschen träge und fern jeglicher Illusionen. Natürlich, auch er hat noch Träume, aber die schiebt er mächtig beiseite und atmet tief durch. Im Zug wird er ab seinem Handy Musik hören und sich in Tagträumereien verlieren. Später wird ihn eine kolossale Gleichgültigkeit heimsuchen. Das Frühstück am folgenden Morgen wird er in einer kleinen Konditorei allein einnehmen - mit Genuss. 

Dienstag, 1. Mai 2012

Nah und fern

Wie nah sind uns manche Tote, doch
wie tot sind uns manche, die leben
Wolf Biermann

Ich mag diese schlichten Worte aus Biermanns Ballade zum Hugenottenfriedhof. Weil sie so verdammt wahr sind. Sie bedeuten für mich auch: Wie nah sind uns manche Fernlebende, doch wie tot sind uns manche, die um uns leben. Sie, die Fernlebenden, können uns nah sein, vielleicht zu nah, als uns lieb ist. Schwierig und anspruchsvoll, ja wohl illusorisch, dass sich daraus ein entwickeltes "wir" entwickeln könnte: Und das Du bleibt räumlich fern und meistens unnahbar. Still ist es vor allem dann, wenn man es ansprechen und schlicht berühren möchte. Gerade in schwierigen Lebenssituationen bräuchte man so sehr ein Du, das uns vertraut ist, das mit uns in einen Dialog treten kann und dabei, nur scheinbar widersprüchlich, auch die vertraute Stille erträgt und herbeiführt. 

Und umgekehrt gibt es die "Nahlebenden", die uns manchmal fast aufzufressen drohen, die eine unerträgliche Nähe einfordern und dabei vor allem eines provozieren: Flucht, weit weit weg, so dass sie bald einmal für uns tot sind. 

Doch bitte kein Entweder-Oder, das wäre schön. 
Und ja, man wählt sich seine Lebenssituation nicht immer aus. 
Zufälligkeiten und unergründliche Begegnungen nehmen keine Rücksichten auf Raum und Zeit. 
So bleibt es dabei: wie nah sind uns manche Tote, doch, wie tot sind uns manche, die leben.